Donnerstag, 4. November 2010

Krankenkassen sollen bluten....

Die Regierung will: Kassen ohne eGK sollen finanziell bluten

Bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) drückt das Bundesgesundheitsministerium das Gaspedal jetzt bis zum Bodenblech durch: Krankenkassen, die das Telematiksystem nicht einführen, sollen finanziell bestraft werden. Dies geht aus einem Änderungsantrag von Union und FDP zum GKV-Finanzierungsgesetz hervor, der dem änd vorliegt.

Diese Maßnahme diene dem Zweck, dass die Krankenkassen „zur Verbesserung des Datenschutzes, der Missbrauchsbekämpfung sowie der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit die für sie geltenden Regelungen zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte umsetzen und mit der Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte an ihre Mitglieder beginnen“, heißt es in der Begründung.

Konkret drohen den Kassen Kürzungen der Verwaltungskosten, so sie sich quer stellen: „Bei Krankenkassen, die die gesetzlichen Vorgaben nicht umsetzen und damit auch die vorgegebenen Möglichkeiten zur Reduzierung des Missbrauchs sowie der Steigerung der Wirtschaftlichkeit nicht nutzen, sollen die Verwaltungskosten im Jahr 2012 gegenüber 2010 um zwei Prozent gekürzt werden“, betonen Union und FDP.

Quelle: ÄND

Sonntag, 22. August 2010

Empathie statt Aktionismus

Wichtiger Artikel aus dem Ärzteblatt:

ARZT ODER MEDIZINER

Empathie statt Aktionismus

Der Mediziner mag Naturwissenschaftler sein, der Arzt aber ist Kulturwissenschaftler, jedoch nie Wirtschaftswissenschaftler.
Eine der frühesten Erfahrungen in meiner Sozialisation als Arzt war die Trennung von „medizinisch“ und „ärztlich“. So hörte ich von meinem Arztvater, später auch von dem Landarzt, bei dem ich famulierte, häufig den Satz: Die oder jene Maßnahme wäre medizinisch zwar möglicherweise indiziert, ärztlicherseits aber nicht sinnvoll oder verantwortbar. Unter medizinisch wurde damit die naturwissenschaftliche, rationale und in ihren Kausalitäten eindeutige Bedingung, unter ärztlich die humane, psychologische, kulturwissenschaftliche und in ihrer Komplexität undurchschaubare Gesamtsituation gefasst. In- zwischen ist der Arzt mehr und mehr zum Mediziner geworden, und er soll es auch sein: Die Änderung der Nomenklatur belegt dies eindeutig. So sind aus Kliniken „medizinische Zentren“ geworden, medizinische Notwendigkeiten haben den höchsten, ja einzigen Stellenwert. Psychosoziale Maßnahmen haben allenfalls den Sinn, den Patienten zur Mitarbeit, zur Compliance, zu drängen, oder sein Los erträglicher zu machen – ohne Hinterfragen der Zielrichtung.
Gerade diese unterscheidet sich beim Arzt von der eines Mediziners ganz beträchtlich: Der Mediziner lebt von der Pathologie, der Arzt von dem Bedürfnis, den sich ihm anvertrauenden Mitmenschen zu helfen, gesund zu werden und zu bleiben. Gute Krankenversorgung sei angewandte Wissenschaft im Einzelfall, sagt Jürgen Schölmerich, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (1). Es werde zu wenig Pathophysiologie und experimentelle Herangehensweise gelernt. Die Wortwahl lässt tief blicken: Der Kranke soll unter pathophysiologischen Gesichtspunkten „versorgt“ und experimentell angegangen werden, nach Versuch und Irrtum. Dazu reichen die Mittel nie: Aufwendungen für neue Therapien und diagnostische Verfahren werden sämtliche Einsparungen übertreffen
Medizin, so wie sie in Kliniken, Medizinischen Versorgungszentren und Praxen betrieben wird, besteht im Wesentlichen aus der Verschreibung von Medikamenten. Der größte Teil der ärztlichen Tätigkeit wird mit der Indikationsstellung, Auswahl, Wirkungsbeurteilung von Medikamenten, der Sicherstellung der Compliance sowie in großem Um- fang auch mit der Behandlung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen verbracht. In dem knappen Zeitraum, der für Kommunikation und Interaktion zwischen Arzt und Pa- tient zur Verfügung steht, ist der Inhalt häufig auf diese Thematik reduziert, wirklich Wichtigeres bleibt auf der Strecke. Schon bei Informationsabenden für Schwangere beispielsweise, bei der so wichtige Dinge wie Vorbereitung auf die Elternschaft, bindungsfördernde Maßnahmen und frühe Hilfen behandelt werden sollten, geht es bei den meisten Fragen an den Pädiater um die Impfungen. Nur hierfür, für die Medikation, werden die Ärzte als kompetent erachtet.
Unsere Vorstellung von Medikamenten im Allgemeinen ist unvollständig – sowohl in Bezug auf die Wirksamkeit als auch auf die Folgen. Hersteller und Meinungsführer verbreiten viel zu positive, unvollständige und „geschönte“ Angaben, die erst dann widerrufen werden, wenn noch ein neueres, teureres und damit besseres Medikament auf den Markt kommt. Dann wird der vorher hochgepriesene Vorgänger für wirkungslos erklärt; oder aus Kontraindikationen werden Indikationen. Wirkliche Langzeituntersuchungen sind rar, werden nicht wahrgenommen oder uminterpretiert, und in der Regel geht es dabei auch nicht darum, ob es dem Patienten insgesamt gut oder besser geht, sondern allenfalls um die Zielsymptomatik.

Demnach sind alle mehr oder weniger krank
Heute leiden viele Menschen an den unterschiedlichsten Problemen, die als behandlungsbedürftig betrachtet werden können, aber nicht müssen. Viele Erkrankungen werden erst durch die vermeintliche Verfügbarkeit effektiver Behandlungsmethoden als solche definiert – ein Prozess, den die Pharmaindustrie mit „disease mongering“ (2) höchst wirkungsvoll begleitet, wenn nicht gar initiiert. So wurde erst mit der Etablierung der Stimulanzientherapie das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom als Erkrankung in der heutigen Form wahrgenommen, selbst die Depression – oder das Bewusstsein dafür – erst durch die Verfügbarkeit von Antidepressiva: „Alles wird zur Depression, weil Antidepressiva auf alles wirken. Man kann alles behandeln, man weiß aber nicht mehr genau, was heilbar ist.“ (3) Diese Erkrankungen wurden natürlich nicht erschaffen, wohl aber ein Bewusstsein für das Vorliegen einer Behandlungsbedürftigkeit, so dass ein Markt geschaffen wird.
Forschung im Sinne naturwissenschaftlicher Erforschung der Lebensvorgänge ist notwendig. Die Ergebnisse und Fortschritte sind faszinierend und unüberschaubar. Molekulare Mechanismen, Rezeptoren und Bindungsstellen, die in Modellen oder an einzelnen Zellen beforscht werden, sind im Modell nachweisbar und schlüssig, im ge- samten Organismus aber Spekulation. Die sofortige und unkritische Umsetzung biologischer Erkenntnisse in die Therapie hat zum Teil lächerliche Formen angenommen – man denke an die gentherapeutischen Versuche der Mukoviszidosebehandlung nach Entdeckung der Lokalisation des Gendefekts.
Wenn man von dem umfassen- den Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation als einem Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens ausgeht, kann es keine vollständige Gesundheit geben, sondern nur Annäherungsversuche an dieses Ideal. Demnach sind alle mehr oder weniger krank und kommen als „Leistungsempfänger“ des Gesundheitssystems infrage.
Wer soll also die Kriterien für die Definition von gesund oder krank festlegen? Die kulturelle Dimension als ein Parameter für normal (gesund) oder anormal (krank) ist allenfalls in der Psychiatrie thematisiert, nicht jedoch andernorts in der Medizin. Was sind die Kriterien für „krank“? Wenn man dies objektiv und kulturunabhängig feststellen will, kann man dies auf verschiedenen Ebenen versuchen. Juristisch gesehen ist auf jeden Fall Eigen- oder Fremdgefährdung und Gesetzesbruch Maßstab für Interventionsnotwendigkeit, was auch in Fällen elterlichen Sorgerechtsentzugs bei behandelbarer Erkrankung des Kin- des zum Tragen kommen kann, vor allem jedoch bei Unterbringungen bei psychischen Erkrankungen, im ärztlichen Alltag aber eine weniger bedeutsame Rolle spielt. Rein statistisch scheint eine objektive Definition gewisser Krankheitskriterien als einer Standardabweichung von einem Mittelwert möglich. Wenn man aber beim Körpergewicht ausgehend vom statistischen Mittelwert Adipositas als Krankheitszustand definiert, wird dies in Subsahara-Afrika anders ausfallen als in einer westlichen Industriegesellschaft. Wenn ein Sechstel aller Menschen im Laufe des Lebens eine behandlungsbedürftige depressive Episode durchmacht, ist das dann „normal“? So steht und fällt auch die statistische Definition mit dem zugrunde liegenden Normalitätsbegriff.

Die Salutogenese ist immer noch zu wenig bekannt
Bei der Bestimmung einer Erkrankung liegt in der Regel eine Symptomkonstellation vor, die oft, aber nicht immer, kausal erklärt und häufig weder zuverlässig noch gültig reproduziert werden kann. Beispiel Pneumonie: Wir haben eine Symptomatik von deutlichem Krankwirken – vielleicht bebende Nasenflügeln und schnellere Atmung, auch Husten. Da gibt es die „klinische Pneumonie ohne radiologisches Korrelat“ oder „die radiologisch als Pneumonie imponierende Verschattung ohne klinische Zeichen einer Pneumonie“. An was soll man sich halten? Was ist erst die so häufig diagnostizierte „angehende Pneumonie“? In kaum einem Bereich der Pädiatrie wird mehr Unsinn produziert als in der Diagnosestellung einer Pneumonie, die Übereinstimmung zwischen Symptomatik und Klassifikation (Reliabilitäts- und Validitätskriterien) ist gering. Ähnliches gilt für die Otitis media: Wann liegt ein Erguss vor, wann eine katarrhalische, wann eine bakterielle Otitis – und wenn, warum? Hier findet man ein Getümmel von Meinungen statt der geforderten wissenschaftlichen Klarheit, noch komplizierbar durch Laboruntersuchungen. Findet man bei einer bakteriologischen Untersuchung einen Keim, ist es eine Besiedlung oder eine Infektion? Ursache oder Folge?
Wir gehen davon aus, dass das, was uns gesund erhält, die Salutogenese, in der Regel ebenso wenig bekannt ist wie das, was krank macht, die Pathogenese. Selbst ein heute gut erforschtes „Wie“ erklärt noch nicht das „Warum“. Das gilt auf der körperlichen ebenso wie auf der psychischen Ebene. Ehe nun blindes therapeutisches Handeln, also therapeutischer Aktionismus, in einem komplexen System mehr Schaden als Nutzen anrichtet, sollten Ärzte angesichts dieses Unverständnisses den Patienten empathisch begleiten und stärken, aber vor allem mechanische, psychische und soziale Heilungshindernisse erkennen und be- seitigen. Das bedeutet nicht, im Sin- ne eines therapeutischen Nihilismus nichts zu tun, sondern die Bedeutung der menschlichen Beziehung in den Heilungsprozess, der immer ein innerer Selbstheilungsprozess ist, einzubeziehen.

Ressourcen wecken statt Patienten versorgen
Seiner „Diätetik der Seele“, einem der erfolgreichsten Ratgeber des 19. Jahrhunderts (4), stellt Ernst von Feuchtersleben das Motto „Valere aude“ – „Wage, gesund zu sein“ voran und entwickelt eine bemerkenswerte Philosophie des Wollens, die die Macht des menschlichen Geistes über den Leib veranschaulicht. Immanuel Kant spricht gar von der Macht des Gemüts, welches durch den bloßen Vorsatz krankhafter Gefühle Meister wird. Natürlich reicht es nicht aus, dem Patienten zu sagen, „reißen Sie sich doch zusammen“. Das wäre ein völliges Fehlverständnis dieses Ansatzes. Aber sich um die eigene Gesundheit zu bemühen, die Salutogenese vor die Pathogenese, die Resilienz vor die Defizienz zu stellen, Ressourcen zu wecken statt den Patienten zu „versorgen“, das kann ein Weg aus dem bodenlosen Abgrund sein, weg vom Gesundheitswahn zum selbstbestimmten Leben, zum „Leben ohne Drogen“.


Dr. med. Stephan Heinrich Nolte
Kinder- und Jugendarzt E-Mail: shnol@t-online.de

Dienstag, 17. August 2010

Nichts ist so teuer wie die Krankenhäuser

Tagtäglich liest man in den Medien, wie ein öffentliches (kommunales) Krankenhaus nach dem anderen in wirtschaftliche Probleme gerät. Das drängt den Eindruck auf, dass die „öffentliche Hand“ auf diesem Sektor besonders ineffizient agiert. Nicht umsonst ist es zu einer Ausweitung des Anteils der privatunternehmerisch geführten Krankenhäuser gekommen, von denen man dies weniger vernimmt. Einzelne Unternehmen sind zudem erfolgreich an der Börse aufgestellt. Die Lobby der staatlichen Kliniken nimmt gern die höhere Moral für sich in Anspruch, da sie Gemeinwohl-orientiert seien und den gegebenen Versorgungsauftrag besonders ernst nehmen. Den Privaten wird hingegen Rosinen-Pickerei und unethische „Shareholder-Value“ – Orientierung unterstellt.
Vielleicht liegt die Ineffizienz auch von ausgewiesenen Fach-Managern geführten Kliniken in dem begründet, was schon Ludwig Mises beschrieben hat:
„Es wäre vergeblich, die Bürokratie dadurch zu reformieren, daß Geschäftsleute zu Leitern der verschiedenen Abteilungen ernannt würden. Die Unternehmer-Eigenschaft haftet der Persönlichkeit des Unternehmers nicht an; sie ist ihm eigen in der Stellung, die er in der Marktgesellschaft einnimmt. Ein früherer Unternehmer, der jetzt ein Staatsamt bekleidet, ist in dieser Eigenschaft kein Unternehmer mehr, sondern ein Bürokrat. Sein Ziel kann nicht länger der Gewinn sein, sondern Willfährigkeit gegenüber den Regeln und Vorschriften. Als Leiter eines Amtes mag er die Macht haben, einige unwichtigere Regeln und einige Belange der internen Arbeitsweise zu verändern. Doch der Rahmen seiner Amtshandlungen wird von Regeln und Vorschriften bestimmt, die außerhalb seines Einflußbereiches liegen.“ („Die Crux bürokratischen Wirtschaftens“ in „Bürokratie“)

Von außerhalb des Einflussbereiches kommen die manchmal fatalen Einmischungen und Vorgaben der Politik, die ja glaubt, alles am besten zu können und zu beherrschen.

Der Krankenhausbereich ist also der kostenträchtigste, aber auch ineffizienteste Bereich des Gesundheitswesens.

Die Frankfurter Rundschau gehört nicht gerade zu meiner Standard-Lektüre, das nachfolgend Zitierte kann aber uneingeschränkt weitergegeben werden:
„Nichts ist so teuer im deutschen Gesundheitssystem wie die Krankenhäuser. Mehr als 50 Milliarden Euro geben die Krankenkassen dafür jährlich aus, hinzu kommen noch einmal fast drei Milliarden Euro von den Bundesländern. Umso bedenklicher ist es, wenn die vorgehaltene Infrastruktur nicht ausgelastet wird. Doch genau so ist es: 22,5 Prozent der 503000 deutschen Krankenhausbetten standen im vergangenen Jahr leer, teilte gestern das Statistische Bundesamt mit. Damit wird jedes vierte Bett nicht genutzt.
Der hohe Leerstand liegt auf dem Niveau der vergangenen Jahre. Und das, obwohl die Zahl der stationär behandelten Patienten um 1,6 Prozent auf 17,8 Millionen gestiegen ist. Grund dafür ist, dass die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus seit 1990 rückläufig ist. Dauerte ein Krankenhausaufenthalt damals im Durchschnitt noch 14,7 Tage, bleiben Patienten jetzt nur noch acht Tage. Damit werden die Betten schneller wieder frei. Und stehen dann leer. Den Krankenhäusern fehlen schlichtweg die Patienten.
Trotzdem ändert sich auch unter starkem finanziellen Druck kaum etwas am Angebot der Kliniken. So wurde zum Beispiel im Jahr 2003 in jedem Bundesland die Umstellung auf einheitliche Preise für Krankenhausleistungen begonnen. Der Prozess hat vielen Krankenhäusern laut Deutscher Krankenhausgesellschaft empfindliche finanzielle Einbußen beschert. Trotzdem hielten sie an medizinischen Leistungen fest, die sich für sie nicht rentierten. In anderen Wirtschaftsbereichen würden solche Anbieter aus dem Markt ausscheiden. Im Gesundheitswesen werden defizitäre Kliniken immer wieder von der Politik gerettet – weil es dem Wähler schlecht verkauft werden kann, wenn Abteilungen schließen.
So gehört zum Beispiel der Gelenkersatz bei Hüftarthrose zum Standardrepertoire fast aller Krankenhäuser in Deutschland. In den Städten des Ruhrgebiets finden sich innerhalb von zehn Minuten Fahrzeit immer mindestens drei bis sechs Kliniken, die diese Leistung anbieten. Manche Häuser führen pro Jahr weniger als ein Dutzend dieser Operationen durch, halten dafür aber den gesamten medizinischen Apparat vor. Bundesweit haben 2006 nur 16 Kliniken mehr als 600 dieser Operationen durchgeführt.
Mehr Wettbewerb gewünscht
Den Krankenkassen ist dies schon lange ein Dorn im Auge. „Auf lange Sicht wünschen wir uns ein Modell, bei dem die Krankenkassen die planbaren Leistungen der Krankenhäuser mitbestimmen, indem sie nur mit qualitativ geeigneten und bedarfsgerechten Krankenhäusern bilaterale Vereinbarungen treffen“, sagt der stellvertretende Barmer-GEK-Chef Rolf-Ulrich Schlenker. Das ist aus zwei Gründen sinnvoll: Zum einen besteht laut verschiedenen Studien eine positive Korrelation zwischen der Zahl der behandelten Fälle und der Qualität, zum anderen könnten günstigere Preise erzielt werden. „Wir brauchen definitiv mehr Wettbewerb in unserem Gesundheitssystem, auch in Krankenhäusern“, sagt auch eine Sprecherin des Krankenkassen-Spitzenverbandes. Für die Versicherten würde das bei planbaren Eingriffen eine längere Anreise bis zur entsprechenden Klinik bedeuten.
Die Krankenhäuser lehnen das ab. Die Krankenhausplanung sei Aufgabe des Staates, argumentieren sie. Stattdessen versuchen sie seit Jahren ihr Leistungsspektrum auszuweiten, um mehr Patienten anzulocken. An der Auslastung macht sich dies bislang nicht bemerkbar. Es wäre also richtig, die teure Infrastruktur zu reduzieren, auch wenn eine hohe Bettenauslastung von 95 Prozent oder mehr nie erreicht wird. Das wäre auch nicht wünschenswert. Die Häuser müssen schließlich groß genug sein, um die Bevölkerung auch bei Pandemien oder Katastrophen versorgen zu können.“


Wenn Betten stillgelegt werden, verliert ein Haus an „Produktionsmitteln“, Personal muss entlassen werden, die Gewerkschaften wehren sich, das Selbstwertgefühl der Klinikdirektoren erleidet einen Knacks, ebenso wie das der Lokalpolitiker. Die Anzahl der behegten Klinikbetten wird immer noch als Prestige-Maßstab genommen.
Also lässt man sich etwas einfallen, die Betten zu füllen mittels neuer Angebote bzw. Mengen-Ausweitung des vorhandenen Angebots – siehe Gelenkersatz.

Im benachbarten Kreiskrankenhaus war prospektiv gesehen nach der „DRG-Reform“ möglicherweise fast die Hälfte der vorhandenen Betten nicht mehr zu belegen. Da zog man niedergelassene Fachärzte (Urologen, Neurochirurgen) als Belegärzte ans Haus und gründete damit neue „Abteilungen“, die der Bevölkerung als Leistungs- und Versorgungsverbesserung verkauft wurden.
Noch vor fünf Jahren gab es in dem Ort keinen einzigen Neurochirurgen. Man musste wegen einer Bandscheibenoperation sich seinerzeit an die nächstgelegene Klinik der Maximalversorgung wenden oder begab sich in ein sog. „Spine-Center“ oder eine „Neurochirurgische Tagesklinik“, deren Ärzte das Prinzip der „Angebotsinduzierten Nachfrage“ schon vorher verinnerlicht hatten. Heute praktizieren 6 (!) Neurochirurgen an dem Krankenhaus. Es ist aber nicht so, dass dadurch in den benachbarten Orten oder Regionen die Zahl an neurochirurgischen Eingriffen herunter ging.
Hinsichtlich der Bandscheibeneingriffe behaupten ernsthafte medizinisch Wissenschaftler, dass 80% (!) dieser Eingriffe unnötig sind.

Das kommunale Krankenhaus macht sich damit das zu Nutze, was von Seiten der Krankenkassen den Ärzten gerne vorgeworfen wird, die „Angebotsinduzierte Nachfrage“.
Die Neurochirurgen, Orthopäden, Herzkatheter-Spezialisten (Kardiologen) und inzwischen auch die Psychiater, sind hier aktuell die Könner im Metier.*

Dennoch kommen diese Krankenhäuser nicht aus den roten Zahlen und bleiben weiter unwirtschaftlich (und unterbelegt). Das „Krankenhaus-Sterben“ wird und muss weitergehen.

Die „HSK-Kliniken“ in Wiesbaden z.B., ein großes kommunales Krankenhaus der Maximalversorgung, das „Stadtkrankenhaus“ der hessischen Landeshauptstadt, hat derartig „erfolgreich“ die Angebotsausweitung betrieben, dass dieses Jahr wiederum 30 Millionen Euro aus dem Steuersäckel zugeschossen werden müssen. Man möchte nicht „privatisiert“ werden und sucht jetzt das Heil in einer Kooperation (Vernetzung) mit dem ebenfalls defizitären Klinikum Offenbach und mglw. noch anderen.

Was passiert mit einer Familie, die aus Impotenten besteht? Sie stirbt aus.

Die „Geschichte“ wird fortgesetzt.

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*Die „Volksgesundheit“ wird durch diese Ärztegruppen nicht gerade gefördert, man produziert eher noch eine steigende Anzahl von Invaliden, die dann auf einem anderen Sektor den Sozialkassen zur Last fallen. Wer an der Bandscheibe operiert ist, glaubt oft, dass er ein normales (berufliches) Leben nicht mehr führen kann. Genauso wie ein Mensch, dem durch die Psychiatrie nach einem mehr oder minder banalen Arbeitsunfall eine „Posttraumatische Belastungsstörung“ angeheftet wird. Mit einer zunächst banalen Kniegelenksspiegelung kann gut der Keim für das „notwendige“ künstliche Kniegelenk gepflanzt werden.
Das sind provozierende Aussagen, sind aber empirisch zu belegen.

Donnerstag, 12. August 2010

3,5 Milliarden für neue Knie und Hüften

Unter anderem in der Zeitschrift "kma – Das Gesundheitswirtschaftsmagazin" war jetzt zu lesen:
„In Deutschlands Kliniken werden Knie- und Hüftprothesen wie am Fließband eingesetzt. Die Krankenkasse Barmer GEK schlägt nun Alarm. Patienten in Deutschland werden immer mehr künstliche Knie- und Hüftgelenke eingesetzt - nach Ansicht der größten deutschen Krankenkasse möglicherweise zu oft. "Wenn das so weitergeht, haben bald alle 60- bis 65-jährigen Rentner ein neues Knie oder eine neue Hüfte", sagte der Vizechef der Barmer GEK, Rolf- Ulrich Schlenker, am Dienstag in Berlin. In den vergangenen sieben Jahren stieg die Zahl der neuen Hüft-Prothesen um 18, die der Knie- Implantationen sogar um 52 Prozent. Allein im vergangenen Jahr bekamen 209.000 Patienten eine neue Hüfte, 175.000 eine Knieprothese, wie aus dem Krankenhaus-Report 2010 der Kasse hervor. Inklusive Nachbehandlungen hätten diese Eingriffe pro Jahr Kosten von rund 3,5 Milliarden Euro verursacht - rund zwei Prozent aller Ausgaben der gesetzlichen Kassen. "Wenn man das weiterrechnet, wird es einem als Kassenvertreter Angst und Bange", sagte Schlenker. Man müsse die Frage stellen, ob Ärzte nicht zu schnell operierten, mahnte Schlenker. Das flächendeckende Netz an geeigneten Kliniken für solche Eingriffe produziere möglicherweise eine große Nachfrage. Hätten Versicherte Zweifel an der Notwendigkeit einer Operation, sollten sie einen zweiten Arzt konsultieren - tatsächlich täten das wohl die wenigsten der meist betagten Patienten.“

Diese Mitteilung der Barmer-GEK führte in der Presse zu weiteren Reaktionen. So beschäftigte sich eine Redakteurin der FAZ gestern mit dem Thema „Prothesenregister“. Im Unterschied z.B. zu Schweden existiert in Deutschland kein sog. Prothesenregister, in dem über alle Prothesenimplantationen Buch geführt wird. Eine solche Datenbank ermöglicht beispielsweise, die Haltbarkeit der einzelnen Prothesenmodelle und die Sicherheit der verschiedenen Implantationstechniken über einen längeren Zeitraum hinweg zu verfolgen. Man würde wichtige epidemiologische Informationen erfassen, etwa die Alters- und Geschlechterverteilung der Behandelten und die häufigsten Gründe für einen Gelenkersatz. Ein solches Register gäbe auch Einblick in die Versorgungsqualität der implantierenden Kliniken.
Bisher hatte sich die Industrie gegen die Beteiligung an einem solchen Vorhaben gespreizt, denn die Kosten sind dabei nicht unerheblich. Durch das neue Medizin-Produkte Gesetz müssen inzwischen die Hersteller viele Daten bereitstellen, sodass die Beteiligung an einem solchen Register der Industrie inzwischen billiger kommen würde. So wachsen die Chancen, dass endlich auch in Deutschland Licht in diesen undurchschaubaren Markt kommt. Es würde Spreu vom Weizen getrennt werden, im Sinne einer besseren Patientensicherheit.
Aber auch hinsichtlich eines rationaleren Umgangs durch die „Gesundheitsanbieter“ und besserer Steuerung durch die Kostenverantwortlichen.

Zum Aufwärmen 2010

Als der Blog-Betreiber den Beruf Arzt erwählte, war der Begriff „Gesundheitswirtschaft“ noch eine unbekannte Vokabel. Auch vom „Gesundheitsmarkt“ sprach noch kaum einer. Man wurde Arzt oder Krankenschwester, weil man in der Hilfe für Kranke eine Art Berufung sah und da man als Arzt sich auf ein gutes Einkommen und hohes Sozialprestige einrichten konnte. Die Krankenhäuser und ärztlichen Praxen waren die Orte, an denen man seiner „Berufung“ und auch gesellschaftlich notwendigen „Pflichten“ nachgehen konnte.

Am Krankenhaus sorgte seinerzeit ein Verwaltungsleiter für das Funktionieren des Rahmens hinsichtlich der baulichen und apparativen Investitionen des Hauses, der Beschaffung der Versorgungsgüter, der Personalverwaltung etc..
Chef oder „Direktor“ einer Klinik war immer ein Arzt – eben der Chefarzt, der den Verwaltungsleiter meist als notwendiges Übel ansah.
Man betreute seinerzeit noch ausschließlich „Patienten“.

Für das „Gesundheitswesen“ wurde inzwischen der Fortschritt der Medizin zum Fluch. Immer bessere und umfänglichere Behandlungsmethoden wurden entwickelt und mit dem stetigen, politisch gewollten Ausbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates, mit dem Versprechen, dass jedem alles Notwendige, besser: alles Mögliche zur Verfügung stehen muss, musste es zwangsläufig zu dem kommen, was gemeinhin als „Kostenexplosion“ bezeichnet wird. Die Schere zwischen den Kosten der sozialstaatlich gestützten Ansprüche und dem Beitragsaufkommen der Versicherten ging immer weiter auf.
Dazu kam, dass besonders die fast ausschließlich staatlich geführten Krankenhäuser immer defizitärer wurden.
Wie das zu erklären ist, ist einen eigenen Beitrag wert.
Zur Rettung oder Verbesserung der Situation kam endlich die „Ökonomie“ ins Spiel. Man erkannte, dass in den Häusern anders gewirtschaftet werden muss und betriebswirtschaftliches Know-How - auch bei den Ärzten - vonnöten ist. Was im Grunde überhaupt nicht verkehrt sein kann.
Man glaubte, dass dies auch unter etatistischer oder bürokratischer Ägide möglich ist. Wenn man nur entsprechend ausgebildete Leute an die Spitze der Häuser stellt. Den politischen Einfluss als Rat oder Bürgermeister auf seine Einrichtung mochte man aber noch nicht aufgeben.
Man musste dann feststellen, dass privatwirtschaftlich oder auch frei-gemeinnützig geführte Kliniken doch besser wirtschafteten. Gerade unter dem Zwang, dass diese sich nicht auf den steten Zufluss aus öffentlichen Haushalten, sprich Steuergeldern, verlassen konnten.
Mit all dem, was da an betriebswirtschaftlichen Unzulänglichkeiten angehäuft wurde, kam es schließlich zu der Entwicklung, dass auch Krankenhäuser insolvent wurden, Pleite gingen oder aktuell Pleite zu werden drohen.
Die Lösung versprechen jetzt private Klinik-Unternehmen, welche nach und nach den ganzen Krankenhaus-Markt umkrempelen.
War vor 20 bis 30 Jahren der Bereich der privaten Träger noch unbedeutend, so beträgt der Anteil der privat geführten Krankenhäuser etwa ein Drittel. Den Markt der Akut-Häuser teilen sich in Deutschland praktisch nur vier bis fünf große Unternehmen unter sich auf.

Seit die „Ökonomie“ ins Krankenhaus Einzug gehalten hat, gibt es keine Patienten mehr, sondern „Kunden“ und „Konsumenten“. Gesundheit ist also auch etwas zum „konsumieren“.
„Klinikchef“ ist ein Betriebswirtschaftler, am besten ein „Master of Business Administration“ und die nennen sich jetzt durchweg „Kaufmännische Direktoren“ vulgo „Krankenhaus-Chef“. Die „Oberschwester“ wurde durch die „Pflege-Managerin“ oder „Pflegedirektorin“ abgelöst, der Hausmeister wurde zum „Facility Manager“.
Schöne neue Welt!

Trotz (oder wegen) aller Ökonomie sind die Beteiligten aber unzufrieden. Die „Kunden“ wie die Klinikchefs. Letztere wegen des Geizes und bürokratischer Fährnisse durch die Kostenträger (Krankenkassen). Die Patienten wegen der Versorgung.
Laut einer Studie eines Beratungsunternehmens im Gesundheitswesen wird das deutsche Gesundheitssystem lediglich von 17 Prozent der Befragten mit "sehr gut" oder "gut" beurteilt. Besonders mit der Infrastruktur und Informationstechnologie medizinischer Einrichtungen sind die Deutschen zufrieden. Verbesserungsbedarf besteht laut Studie vor allem bei Zugang und Wartezeiten für Behandlungen.
Anderen Untersuchungen zufolge sind aber die Deutschen Weltmeister in der Inanspruchnahme von medizinischen oder ärztlichen Leistung, wobei nicht bekannt ist, dass der Gesundheitszustand der Deutschen im selben Prozentmaß schlechter wäre, als der in Vergleichsländern.